Verrückt!
Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Sofort. Ab dem Moment in dem die Wörter Bhutan, Ich und Laufen in einem Satz fielen.
Bestandsaufnahme: Wir haben einen Mann
- der bis vor nicht allzu langer Zeit Laufen gar nicht mochte
- der Berge nur gut findet, wenn es bergab geht und
- der mich nach 8 Jahren immer noch fragt, wie er zum zwei Kilometer weit entfernten Aldi kommt.
Dieser Mann will also nun in sechs Tagen nicht nur 200 Kilometer laufen, sondern 10.000 Meter davon bergAUF! Um das ganze noch zu toppen: Unbeschilderte, nicht läuferfreundlich abgesteckte Strecken, teilweise durch den Dschungel oder menschenleere Gebiete.
Aber da selbst Chihuahua Charly nach fünf Jahren zurück zu seiner Familie kehrte, sollte es auch im Fall Dirk Hoffnung geben (gut, ich sollte überlegen, ob ein implantierter Chip nicht erforderlich ist).
Und dann stellt sie sich mir immer wieder: die Frage nach dem Warum. Warum rennt man 200 Kilometer in sechs Tagen? Warum mitten in der Wildnis, obwohl das Konzept sowie die korrekte Bedienung eines Kompasses optimistisch ausgedrückt nur rudimentär besteht? Warum beginnt man eine Reise, bei der die Mitnahme von Überlebensequipment Grundvoraussetzung ist? Warum beginnt man etwas, was mit Sicherheit im Schmerz endet?
Da ich in meiner Jugend Leistungssport betrieben habe, weiß ich, was Schmerz bedeutet. Kenne ich den Kampf gegen den inneren Schweinehund. Weiß ich, dass hinter einem “Ich kann nicht mehr” immer noch ein “Es geht doch noch ein bisschen” steckt. Ist mir klar, dass man das, was man gerade tut, bzw. tun muss nicht gerne machen muss. War ich schon häufig stolz über meine eigene erbrachte Leistung. Und habe ich gelernt: Teamsport ist am besten für mich. Ergo: Das wäre kein Grund, um mich per pedes durch Bhutan zu quälen …
Was bleibt dann noch? Das Zu-sich-Finden? Das Loslassen aller belastenden Dinge und Kleinigkeiten, die mit jedem Kilometer an Bedeutung verlieren? Erkenntnisse, die die Einsamkeit und die Gesellschaft mit sich selbst mitbringen?
Ich bin kein besonders spiritueller Mensch. Ich praktiziere nicht “Loslassen und es kommt von selber”. Und ich lerne am besten durch Fehler, die ich begehe – auch wenn das manchmal die harte Tour ist. Ich würde mich als bodenständig, konservativ-deutsch erzogen und nicht immer vernünftig handelnd bezeichnen.
Und wenn ich auf die Reise, die Aufgabe, das Ziel und Dirks damit verbundene (oder erhoffte) Erwartungen schaue, stelle ich mir die Frage: Wäre das was für mich? Ich weiß es nicht – und wie oben bereits erwähnt: Ich will es nicht ausprobieren!
Aber ich wünsche Dirk genau das: das Teilchen zu finden, was ihm fehlt, um die innere Ruhe zu finden, die er sucht. Oder den Schritt zu laufen, der ihm klarmacht, entweder auf dem richtigen Weg zu sein oder die Richtung ändern zu müssen. Oder sich final einzugestehen, dass Berge hoch zu Fuss einfach Mist sind und es durchaus reicht, wenn man auf Nachfrage den Weg zum nächsten Aldi findet.
Und bis er zurück ist werde ich mir jeden Tag die Frage stellen, ob Sauerländer per Geburt nicht gechipt sein sollten … 😉
Heidi Liebich